Mestia boomt! Überall entstehen neue Unterkünfte, werden Anbauten für zusätzliche Gästezimmer geschaffen. Unter lautem Hämmern und Sägen an jeder Ecke entsteht hier das touristische Zentrum Swanetiens. Im Sommer bietet die Gegend tolle Wanderwege im großen Kaukasus, für die Wintersaison wurde ein Skigebiet hergerichtet.
Unser Marshrutka-Fahrer gibt Vollgas – bis zur nächsten Kurve, vor der er scharf auf die Bremse tritt, um gleich wieder los zu preschen. Der georgische Fahrstil ist berüchtigt – wir wissen jetzt, warum… Auf der engen Rückbank im Minibus nach Mestia ist es gar nicht so einfach, die Landschaft zu genießen. Mal hämmert die Schulter während eines gewagten Überholmanövers an die Fensterscheibe, dann will es ein Schlagloch mit der Wirbelsäule aufnehmen. Dabei führt die Strecke durch ein beeindruckendes Tal, zunächst an einem langgezogenen Stausee entlang, der von einem tosenden Fluss gespeist wird. Auf beiden Seiten ragen steil grüne Hänge empor und geben kurz vor Mestia den Blick auf die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus frei.
Marshrutka-Pause am Stausee zwischen Sugdidi und Mestia
Die Wehrtürme Swanetiens fallen sofort ins Auge – einige von ihnen sind bis zu 500 Jahre alt. Auf den mehr als 20 Meter hohen Türmen mit ihren schmalen Schießscharten unter dem flachen Dach wurde einerseits Ausschau nach Eindringlingen gehalten. Andererseits waren blutige Fehden unter den Clans in der Region nicht selten – so dienten die Türme auch zur Verteidigung und zum Schutz der Familie. Das erklärt auch, warum es so viele Wehrtürme gibt. Fraglich nur, warum alle gleich aussehen und keine Familie versuchte, die andere mit einem höheren, schickeren Turm zu übertrumpfen?! Viele der alten Bauwerke stehen noch, sind aber nicht mehr zugänglich. Am nord-östlichen Ende des Ortes, auf dem Weg zum Aussichtspunkt am Kreuz, ist aber einer der Türme für Besucher geöffnet und kann über steile Holzleitern im Innern bestiegen werden.
Mestia selbst scheint vom Touristenansturm der vergangenen Jahre etwas überfordert. Vielleicht hat der Ort ein paar Entwicklungsschritte zu viel übersprungen vom kleinen, abgehängten Dorf zum Zentrum des Tourismus in der Region Swanetien. Jedenfalls scheint der Lari hier mehr als anderswo zu regieren: Etwas zu oft für unser Gefühl wurden wir in Mestias Restaurants lustlos abserviert und vor allem abkassiert.
Reiterfest He-Lischi in Mestia
Etwas Tradition hat sich der Ort aber bewahrt. Einmal im Jahr, im Juni, wird im Ort das Reiterfest He-Lischi veranstaltet. Von jeder der fünf ältesten Familien Mestias reitet ein Sohn mit. Der älteste von ihnen trägt eine Fahne, die einen Tiger mit offenem Maul darstellen soll. Die Hufen klappern auf dem Kopfsteinpflaster, die Pferde schlittern – das Ziel ist gar nicht genau erkennbar.
Einen knappen Kilometer vom Zentrum Mestias entfernt wurde vor ein paar Jahren die neue untere Seilbahnstation eröffnet. Der moderne Skilift ist auch im Sommer geöffnet – praktisch für Wanderer! Er führt bis zur Talstation des etwas älteren Hatsvali-Lifts, der in gemächlichem Tempo weitere knapp 500 Höhenmeter erklimmt. Die Aussicht ist schon während der Fahrt grandios – bergab sogar noch mehr, weil man sich dann für den Blick auf Mestia und den etwa 4700 Meter hohen Berg Ushba nicht ständig umdrehen muss… Vom Café Zuruldi ist das 360-Grad-Panorama dann perfekt!
Blick von der Hatsvali-Bergstation
Wanderung nach Tsvirmi
Vom Café führt ein Wanderweg über bunte Blumenwiesen und grüne Weiden immer auf dem Bergrücken entlang bis zum Sendemast auf dem Mentashi. Ab hier ist leider Improvisation gefragt, denn es gibt keinen Weg mehr und der Hang ist steil. Wir rutschen also mit mehr Glück als Verstand durchs Gehölz und sind froh, als wir wieder auf einer Wiese stehen mit dem Pfad vor uns. Außer ein paar Kühen und Pferden begegnet uns nun niemand mehr. Das Panorama ist sensationell und der Weg führt nur noch bergab bis ins Dorf Tsvirmi. Nach knapp fünf Stunden (ab dem Café) haben wir Glück, dass ein netter Pickup-Fahrer uns zurück nach Mestia nimmt. Die halsbrecherische georgische Fahrweise hatten wir schon wieder ganz vergessen, bis wir rücklings auf der Ladefläche sitzend über die holperige Piste rauschen…
am Mentashi
Wanderung in Richtung Koruldi-Seen
750 Höhenmeter nördlich von Mestia steht ein kleines Kreuz, das sich als gutes Ziel für eine Halb-Tageswanderung anbietet. Wer nicht völlig erschöpft oben ankommen möchte, sollte lieber den längeren Weg wählen, der in einem großen Bogen langsam an Höhe gewinnt, anstelle des sehr steilen direkten… Maps.me hilft bei der Orientierung! Wir landen leider auf dem steilen Weg, stapfen durch dichten Wald und müssen alle paar Minuten Pause machen. Im Schnitt 30 Prozent Steigung sind dann doch etwas viel für uns Flachlandtiroler… Oben werden wir dafür mit einem fabelhaften Blick über den Ort belohnt. Auf einer kleinen überdachten Plattform erholen wir uns vom Aufstieg. Von hier führt der Weg noch etwa zwei Stunden weiter oberhalb der Baumgrenze über grüne Weideflächen, vorbei an einfachen Hirtenhäusern zu den Koruldi-Seen. So weit schaffen wir es nicht. Als die ersten vereisten Schneereste des Winters auf dem Weg unter unseren Schuhen knirschen, kehren wir lieber um – dieses Mal nehmen wir den längeren Weg bergab.
Tipps:
- Tolle Wanderrouten rund um Mestia beschreibt caucasus-trekking.com
- Die App maps.me hilft bei der Orientierung im Ort und auf Wanderwegen. Google Maps etc. sind in Mestia nicht zu gebrauchen…
- Der Skilift liegt etwa einen Kilometer südlich des Zentrums und kostet 10 Lari (inkl. 1x Umsteigen). Er ist nur bei gutem Wetter geöffnet und auch dann nur bis zum Nachmittag (auf Öffnungszeiten achten, um nicht oben sofort wieder hinunterfahren zu müssen).
- Das Rea Dessert Café füllt tagsüber verbraucht Kalorien ganz schnell wieder auf – mit Walnuss-Honig-Pancakes oder leckerem Schokoladenkuchen.
- Mehrere Bäckereien verkaufen den ganzen Tag frisch gebackenes Brot an der Hauptstraße. Zusammen mit frischem Gemüse ist schnell ein ansehnliches Picknick zusammengestellt.
- Die kleine (offenbar aber nicht besonders verlässliche) Fluglinie Vanilla Sky verbindet Mestia mehrmals pro Woche mit Tiflis und Kutaisi. Ein Flug dürfte sich vor allem für den Blick über den Kaukasus lohnen!