Mit Höhen und Tiefen kennt sich Hillbrow aus: Der Stadtteil im Zentrum Johannesburgs hat den Aufstieg zum Szeneviertel erlebt und den Absturz zum Slum. Heute treffen rund um das höchste Wohnhaus Afrikas menschliche Abgründe auf den unermüdlichen Einsatz engagierter Menschen, die gegen das Schmuddelimage kämpfen.
Es ist ein ewiges Auf und Ab mit dem Ponte Tower, Johannesburgs spektakulärstem Gebäude: Erbaut 1975 für die Apartheid-Oberschicht, erlebte das 172 Meter hohe Wohnhaus in den 90er Jahren seinen absoluten Tiefpunkt. Von Gangs besetzt und zu einem Wolkenkratzer-Slum verkommen, hausten hier bis zu 8.000 Menschen auf einer Fläche, die eigentlich für 2.500 Bewohner vorgesehen war. Der Müll flog in den Innenhof, stapelte sich damals 14(!) Stockwerke hoch und stank zum Himmel!
Vor der Fußball-WM 2010 rochen dann Investoren das große Geld in bester Lage. Doch bis sie alle Menschen vertrieben und den Müll beseitigt hatten, war das Sportspektakel längst vorbei, der Bedarf an Luxusapartments nach der Finanzkrise ohnehin gering. Heute genießen Arbeiter, die einfache Mittelschicht und Studenten die sensationelle Aussicht und bezahlbare Mieten, während Touristen noch beeindruckter vom Blick ins Innere des Ponte Towers sind – oder sich ein Rennen über 54 Stockwerke und mehr als 900 Stufen hinauf liefern (Rekordzeit angeblich 5:04min).
Irre Perspektive: im Innenhof des Ponte Tower
Sechs Parkdecks gibt es am Fuße des Gebäudes, das auf den blanken Fels gebaut wurde. Am Fuße des Innenhofes wirkt der Ponte Tower wie eine unwirkliche, lebensfreindliche Mondstation oder gar ein Gefängnis.
Die Organisation Dlana Nje ist so etwas wie das Herz von “Ponte City”, wie das Gebäude auch genannt wird. In ihren Räumen finden Kinder einen sicheren Platz zum Spielen oder Hausaufgaben machen – bessere Gesellschaft als bei den Drogenabhängigen in den umliegenden Parks. Doch Dlana Nje will auch zeigen, wie sich etwas im Viertel verändert und dass der Stadtteil Hillbrow seinen Bewohnern durchaus Lebenswertes bietet – auch wenn es weitgehend touristische No-Go-Area ist.
Hillbrow
Besetzte Hochhäuser ohne Fassaden, flatternde Plastikplanen statt Fenster – in Hillbrow zeigt sich Johannesburgs schlimmstes Elend. Gangs „verwalten“ ganze Blocks, verlangen Miete für Behausungen ohne fließendes Wasser, ohne Kanalisation, der Strom wird mit gefährlichen Eigenkonstruktionen aus dem öffentlichen Netz abgezweigt. Etwa 100 solcher Gebäude soll es in der ganzen Stadt geben. Doch die tut nichts dagegen, weil sie den Bewohnern dann ja Unterkünfte an anderer Stelle bieten müsste… Hillbrow gilt als Problemviertel. Da kann sich die Stadtverwaltung schon auf die Schulter klopfen, wenn sie ein paar Parks modernisiert und öffentliche Toiletten aufstellt. Doch Kinder spielen hier trotzdem nicht. Dafür kann man Männer beobachten, die mit dem trüben Inhalt selbst befüllter Plastikflaschen ihre Augen glasig werden lassen… Nach der Corona-Pandemie liegt die Arbeitslosigkeit in Südafrika bei 35 Prozent.
Hillbrow – Problemviertel und Hoffnungsschimmer
Nur einen Häuserblock weiter gibt es einen Hoffnungsschimmer: Apartmenthäuser, saubere Straßen, Überwachungskameras. Eine private Firma kümmert sich um das Quartier. Die städtische Müllabfuhr kommt nicht? Dann wird es eben selbst organisiert. Die Polizei lässt sich nur selten blicken? Dann stellt ein privater Sicherheitsdienst eben Kameras auf. Dafür kosten die Wohnungen hier etwas mehr. Auch deshalb nutzen viele den Wohnraum gezwungenermaßen kreativ: Mit Aushängen suchen Tagarbeiter Menschen mit Nachtschicht-Berufen – um sich ein Zimmer oder sogar Bett zu teilen. Balkone werden mit Fensterscheiben versehen, um mehr Wohnraum zu schaffen.
Der „Summit Club“ – früher angesagter Treffpunkt mit Kino und Schwimmbad,
heute halten hier leichtbekleidete Frauen Männer bei der Stange…
Neben dem Ponte Tower ragt noch der 269 Meter hohe Fernsehturm zwischen den Häusern hervor. Oben war mal ein Restaurant, es ist aber seit Jahrzehnten dicht. Der graue Betonpfahl zeugt von einer Zeit, in der in Hillbrow die Träume noch in den Himmel wuchsen. Hier war einst ein kosmopolitisches In- und Ausgehviertel, Wiege der südafrikanischen Homosexuellenbewegung. Vor allem Neuankömmlinge aus Europa zog das weltoffene, progressive Viertel an. Offiziell gab es eine strikte Trennung: Weiße residierten in schicken Wohnungen, Schwarze traten höchstens als Künstler auf. Doch natürlich entstanden hier auch Beziehungen – im Apartheid-Regime verbotene Verbindungen, die die Regierung verhindern wollte. Und als durch die politischen Umbrüche der 1970er Jahre und Gewalt im Land vor allem die europäischen Migranten das Viertel verließen, zogen zunehmend Schwarze in die freien Wohnungen – auf der Flucht vor der eskalierenden Gewalt in den Townships. Das nutzten die Vermieter aus, erhöhten die Mieten drastisch – und so entstand ein Teufelskreis: Es teilten sich noch mehr Menschen eine Wohnung, um sie sich leisten zu können – die Überbevölkerung verschärfte die Wohnungsnot – die Vermieter erhöhten die Preise und vernachlässigten Reparaturarbeiten, weil sich ja sowieso immer jemand fand, der mietete. Als mit dem Ende der Apartheid ein weiterer Zuzugs-Boom nach Johannesburg einsetzte, war Hillbrow das, was man einen Slum nennt: Zu viele Menschen auf zu wenig Raum, Drogenhandel, ausufernde Gewalt und Hausbesetzungen verstärkten sich gegenseitig. Erst seit Ende der 1990er Jahre erfährt Hillbrow wieder Beachtung der Stadtverwaltung. Und auch wenn Armut und Drogen noch immer präsent sind: Es tut sich was im Zentrum Johannesburgs. Heute sind viele Bewohner wieder stolz darauf, hier zu leben.
Tipps:
- Die Touren von Dlala Nje sind sehr zu empfehlen! Wer nicht durch Hillbrow geführt werden möchte, kann auch nur Ponte City besuchen.
- Auch wenn die Gegend sicherer geworden ist: Ausländische Besucher nehmen am besten ein Uber direkt zum Haupteingang.
- Einmal im Jahr findet die „Ponte Challenge“ statt – ein Wettlauf über mehr als 900 Stufen, alle 54 Stockwerke hinauf. Rekordzeit angeblich 5:04 Minuten.