Die Regenzeit in Mexiko-Stadt wurde definitiv erst eingeführt, als die Stadt schon fertig geplant und gebaut war. Das ist meine feste Überzeugung! Niemand konnte ahnen, dass hier jemals sintflutartige Regenfälle zu erwarten sind und die Stadt fast täglich in ein riesiges Feucht-Biotop verwandeln würden…

Morgens ist die Welt noch in Ordnung in Mexiko-Stadt. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und gäbe es Bäume, würden sie wohltuenden Schatten spenden und gäbe es dann noch Vögel, würden sie fröhlich auf den Ästen sitzen und singen. An die Abwesenheit letzterer habe ich mich schnell gewöhnt. Bin ohnehin damit beschäftigt, auf den Verkehr zu achten und nicht auf einer zehnspurigen Einbahnstraße totgefahren zu werden als mich mit dem Gedanken solcher gar ländlich anmutender Lappalien zu beschäftigen.

Dass die Natur aber doch noch ein Wörtchen mitzureden hat in diesem Metropolen-Moloch, scheinen zumindest die Stadtplaner gehörig zu ignorieren. Zwei Theorien: Entweder der Smog hat ihre Synapsen vollständig verstopft oder es gibt gar keine „Planer“ hier. Denn von Mai bis Oktober rächt sich, dass jedes Fleckchen Erde bis zur Besinnungslosigkeit mit Beton versiegelt wurde. Dann ist Regenzeit: Temporada de Lluvias.

Auch wenn um 14:00 Uhr noch die Sonne scheint: Hinter den Hochhäusern machen sich spätestens jetzt die dunklen Wolken breit. 14:02 Uhr: Drei Tröpfchen kündigen an, dass es Zeit ist, sich ein ausreichend überdachtes Plätzchen zu suchen. Wie das Türschließsignal der U-Bahn: Piep, Piep, einsteigen bitte. 14:03 Uhr: Jetzt ist der Zug abgefahren. Die Wolken geben Vollgas. Das Verkehrsrauschen steht zurück hinter dem noch lauteren Regen-Rauschen. Wie aus Eimern pladdert es jetzt auf den geschlossenen Betondeckel namens Mexiko-Stadt herab. Irgendwo ist es garantiert immer abschüssig und die Wassermassen können ja dorthin strömen. Wozu Gullideckel einbauen? Sechs bis neun Monate im Jahr regnet es schließlich nicht!

Eine Regenjacke mag vielleicht noch gegen die Wassermassen von oben helfen. Doch trockenen Fußes durch die Stadt zu kommen, ist unmöglich. Von Pfützen zu sprechen, geht eigentlich nicht. Alles ist eine riesige Pfütze! Gibt es einen Ausdruck für die kleinen trockenen Inselchen dazwischen? Wahrscheinlich nicht. Davon gibt es auch zu wenige. Und wenn, dann sind sie das Ziel aller, die jetzt noch nicht vollständig durchnässt zu Fuß unterwegs sind. Doch zwischen diesen „Inselchen“ ist das Wasser mal nur wenige Zentimeter, mal knöcheltief. Spätestens beim missglückten Sprung auf die erste sind alle weiteren auch hinfällig. Vermutlich gibt es deswegen kein Wort für sie. Doch selbst wenn man einen vermeintlich Schutz bietenden Hauseingang gefunden hat, bedeutet der noch lange keine Trockenheit: Davor stürzt garantiert ein Wasservorhang vom Dach. Die Stadt könnte ein Paradies sein für Regenrinnenhersteller. Aber es ist ja sechs bis neun Monate trocken. Warum also solcher Schnickschnack?

Selbst in der Metro ist man vor den Regenfällen nicht sicher. „Bei Regen fahren die Züge langsamer. Verlegen Sie Ihre Reise vor.“ raten (manchmal) Laufschriften auf (manchmal vorhandenen) Bildschirmen. Selbst hier, mehrere Dutzend Meter unter der Erde, sind Heerscharen von Wasserschrubbern, Wischmopptrupps und Schwammträgern unterwegs, um das die Treppenstufen kaskadenartig in die Metro-Schächte herabstürzende Wasser im Zaum zu halten. Fragt noch jemand, warum die Rolltreppen nicht funktionieren?

Gibt es unter den Metro-Schächten wenigstens eine Kanalisation? Oder kann bei jedem Wolkenbruch das komplette U-Bahn-System absaufen? Vorsichtshalber verkaufen findige Händler Regencapes für zehn Pesos. Und ich entdecke endlich den tieferen Sinn der auf maximaler Umdrehungszahl laufenden Deckenventilatoren in den Waggons. Diese stickige und warme Luft pustenden Mief-Quirle eignen sich wunderbar als Fön! Dann sind nach der Metrofahrt wenigstens nur noch die Füße nass…