Nach zwölf Stunden Busfahrt von Lumbini ist hier Schluss: Bardibas, ein staubiger, vollgemüllter, seelenloser Ort an der Highway-Kreuzung. Aufständische haben die Straße nach Janakpur gesperrt, wo wir eigentlich hinwollen. Die Sicherheitslage ist unklar, deshalb setzen wir uns eben noch einmal fünf Stunden ins Auto nach Katmandu. Aaargh!
Bardibas hätten wir am liebsten gar nicht kennen gelernt. Der Ort besteht eigentlich nur aus einer staubigen Straße, einer genauso staubigen Straßen-Abzweigung, ein paar Dutzend Marktständen (Chips, Tomaten, keine Cola), bergeweise Müll und einer Handvoll wenig einladender „Hotels“, in denen vermutlich ähnlich viel Verkehr stattfindet wie vor der Tür. Aber von vorn.
Eigentlich wollen wir von Lumbini nach Janakpur fahren – rund 370 Kilometer durch das Terai, die in einem nepalesischen Bus durchaus in 13 Stunden zu bewältigen sind. Das Ticket haben wir – wie immer – im Hostel reserviert und bezahlt, um in Zeiten knappen Benzins und Platzangebots ganz praktisch ist. Dass der Bus nur bis Bardibas fährt und nicht nach Janakpur, erfahren wir erst kurz vor der Abfahrt. Der Busbegleiter-Stalin verweist uns auf die Schleudersitze in der letzten Reihe des vermutlich mehrfach ausgemusterten Tata-Busses. Ein paar Passagiere schieben die alte Kiste an, der Motor röhrt, der Auspuff qualmt schwarz, los geht’s.
Selbstverständlich sitzen nach dem zweiten unplanmäßigen Halt nicht nur fünf Leute auf den fünf Sitzen der Rückbank, sondern sechs. Kinder wuseln sowieso durch jede zweite Sitzreihe und der Mittelgang ist auch voll. Ein Wunder, dass heute niemand auf dem Dach Platz hat, es ist alles voller Gepäck. Jede Schwelle vor und hinter einer nicht ganz optimal in die Straße eingepassten Brücke katapultiert uns gefährlich nah an die Decke, die Wirbelsäule spielt mit den Bandscheiben Ziehharmonika.
Immerhin: Die Aussicht ist ganz nett. Die Hälfte der Strecke bis Narayangadh kennen wir zwar schon. Danach wird es interessanter. Rechts und links säumt mal Regenwald die Straße mit armen Lehm- und Holzhütten; mal sind es grüne Felder, auf denen gerade Reis geerntet wird. Besonders auffällig sind aber die dutzenden ausgetrockneten Flussläufe, die wir überqueren. Eigentlich ist die Regenzeit noch gar nicht lange vorbei – hier sollte also Wasser fließen. Vermutlich ist es ein größeres Staudammprojekt, das zig Meter breite trockene Kiesbetten mitten in der Landschaft freilegt.
Eines von Nepals großen Potenzialen ist die Wasserkraft. Theoretisch könnten Staudämme eines Tages sogar Strom in die Nachbarländer exportieren. Praktisch scheitern sie häufig an den Kosten oder Protesten von Einwohnern und Umweltschützern. Dass es nicht immer Riesen-Projekte mit hunderten Megawatt sein müssen, zeigen viele kleine Micro-Wasserkraftanlagen in den Bergen. Sie liefern zuverlässig Strom für wenige hundert Haushalte und brauchen – solange der Fluss Wasser führt – keine Staubecken.
Nach insgesamt zwölf Stunden erreichen wir Bardibas. Endstation. Wie wir jetzt bitte nach Janakpur kommen? Gar nicht, sagt der Busbegleiter-Stalin. Straßensperre. Andere Menschen sagen, wir könnten mit einem Motorrad an der Sperre vorbei fahren (angesichts zweier großen und zwei kleinen Rucksäcken Gepäck verwerfen wir diese Idee). Schließlich hilft uns ein junger Nepalese aus Janakpur, Kumar. Die Dasain-Feiertage seien vorbei, sagt er, jetzt begännen die Proteste von Neuem. Hier im Flachland an der Grenze zu Indien, dem Terai, ist die Minderheit der Madhesi nicht einverstanden mit der neuen Verfassung und lässt das das übrige Land spüren: Straßen werden gesperrt, Grenzübergänge blockiert, Lastwagen mit Lebensmitteln angezündet. Klar könnten wir irgendwie nach Janakpur kommen, sagt Kumar. Aber auch dort sei die Bevölkerung gerade nicht in der Laune, Touristen zu bedienen. Wann und wie wir wieder aus Janakpur heraus kämen, sei Glückssache. Er empfiehlt uns, weiter nach Kathmandu zu fahren.
Wir befolgen seinen Rat und kaufen ein teures Ticket für einen der Jeeps, die schneller als die Busse nach Kathmandu fahren. Es wird bald dunkel, vor 23 Uhr werden wir wohl nicht in Kathmandu sein. Natürlich wird auch der Jeep mit Menschen vollgestopft. Vier Leute pro Sitzreihe – Standard… Von der traumhaft schönen Straße durch die Berge sehen wir leider nur den Asphalt im Scheinwerferlicht. Dabei sind die Nepalesen so stolz auf diese Straße! Ein Geschenk der japanischen Regierung, sagen sie. Ein Mitfahrer hat bei einer anderen Fahrt tatsächlich seine Handy-Kamera eine Halbe Stunde laufen lassen. Jetzt fahren wir also durch die Dunkelheit und ich schaue mir auf seinem Handydisplay die Straße bei Tag an. Verrückt!
Aber eigentlich ist die Fahrt weniger vernügt als es klingt. Mit zwölf Stunden Busfahrt in den Knochen kurvt der Fahrer die Serpentinen hinauf und wieder hinab. Durch die Boxen schallt nepalesische Volksmusik. Meinem Sitznachbarn wird schlecht. Pause, Auto säubern, weiter. Unsere eindringlichen Bitten, in Bhaktapur herausgelassen zu werden, werden zwar bestätigt – aber letztlich ignoriert. Also landen wir auf einem Parkplatz unweit des Flughafens von Kathmandu. Kein Hostel weit und breit, keine Busse, nur ein teures Taxi („der Benzinpreis…!“). Kurze Diskussion, dann fährt uns der Mann in den Stadtteil Thamel. Zurück in der Touristenhölle – viel früher als geplant, hungrig, müde. Es gab bessere Tage auf dieser Reise…