Misol Ha ist ein Wasserfall wie aus dem Bilderbuch. Die Fälle von Agua Azul bestechen allein durch ihre Größe. Allein der Name ist irreführend: Aus dem „blauen Wasser“ haben Regen und Schlamm braunes Wasser gemacht – und mehr als genug davon! Neben dem Tourismus haben sich die Menschen hier vor allem auf eines spezialisiert: Brandrodung und Palmöl.

Nach nur einer Stunde Fahrt erreicht die kleine Tour-Gruppe Misol-Ha. Ein Wassefall wie aus dem Bilderbuch. Rechts und links dichtes Dschungelgrün und über eine breite Kante stürzt das Wasser 25 Meter laut rauschend in die Tiefe in ein Becken, in dem man auch baden kann. Auf einem Wanderweg kann man sogar hinter der Wasserwand entlang laufen! Doch da wird man doch zu nass – ich muss ja schließlich noch zurück ins Auto, zum nächsten Stopp der Tour.

Hierher dauert die Fahrt deutlich länger. Durch unzählige Kurven und dichten Dschungel, vorbei an brandgerodeten Flächen, die nun Monokulturen zur Palmöl-Plantagen sind… Mit mir im Tour-Combi sitzen noch zehn weitere Touristen. Ein Spanier unter ihnen sitzt im Rollstuhl. Mexiko ist nicht besonders rollstuhlfreundlich – überall Hindernisse, Unebenheiten, Fahrstühle kaum vorhanden. Trotzdem macht er mit seiner Freundin die Reise und ist, wie er sagt, immer wieder überrascht von der Hilfsbereitschaft der Mexikaner. Die Wasserfälle von Agua Azul sind beliebt bei Touristen. Das wird gleich klar, als wir auf dem Parkplatz ankommen, von dem aus die Wege stromaufwärts starten. Dutzende Holzverschläge, kleine Restaurants und Souvenirstände reihen sich hier aneinander. Doch der große Besucheransturm bleibt heute aus. Es ist nicht Hochsaison. Kein Reisebus karrt noch mehr Touristen an – nur wir und ein paar andere Menschen sind heute hier. Es gibt auch bestimmt bessere Tage, Agua Azul zu besuchen – das „blaue Wasser“. In den vergangenen Tagen hat es viel geregnet. Die Wasserfälle führen entsprechend viel Wasser. Doch wird so viel Schlamm mitgeschwemmt, dass es heute eher „braunes Wasser“ heißen müsste. Und es regnet schon wieder. Doch egal welche Farbe das Wasser hat, der Anblick des Wasserfalls ist umwerfend. Mehrere Fußballfelder groß ist die Fläche, auf der das Wasser über Felsen sprudelt, durch Stromschnellen rauscht und über Kanten springt und laut tösend Stufen herabstürzt. Der Höhenunterschied ist nicht besonders groß, aber das Wasserspektakel ist trotzdem riesig. Ich laufe weiter stromaufwärts. Allmählich werden es weniger Imbiss- und Souvenirbuden am Wegesrand. Immer wieder gibt es Aussichtsplattformen, die neue Blickwinkel auf die Wassermassen erlauben. Je weiter ich laufe, desto einsamer wird es. Der Weg ist bald nicht mehr betongepflastert und wird langsam matschig. Doch für die dreckigen Schuhe entschädigen immer neue kleinere Wasserfälle, die den großen säumen und Stromschnellen, vor denen große „Baden verboten“-Schilder stehen. Mein eigentliches Ziel, den Mund des Flusses „Boca del Río“, erreiche ich leider nicht. Statt des ausgeschilderten einen Kilometers sind es mindestens zwei bis zu  der Stelle, an der der Fluss aus einem Canyon heraus fließen soll. Auch hier, wo das Wasser noch ein breiter und ruhig fließender Fluss ist, säumen immer wieder kleinere Palmölfelder den Weg. Nach zweieinhalb Stunden laufe ich wieder zurück zum Parkplatz. Der Regen hatte zwischenzeitlich aufgehört, jetzt geht es wieder los. Zeit für eine kleine Pause. Ich probiere eine Guaya. Die tischtennisballgroße grüne Frucht hat einen recht großen Kern und nur wenig faseriges Fruchtfleisch. Man muss sie mehr lutschen, um etwas des süßen Saftes herauszubekommen. Auch das Schälen dauert lange – so richtig toll ist das nicht.

Die Rückfahrt dauert wieder lange. Gefühlt sind es jetzt noch mehr brandgerodete Felder als auf dem Hinweg. „Was willst du machen“, sagt der Fahrer, „die Palmöl-Firmen zahlen gut und es gibt wenig Arbeit auf dem Land.“

Dschungel adé - Palmöl olé!
Dschungel adé – Palmöl olé!

Zum Abendessen gibt es wieder Tacos al Pastor, diese Tortillafladen mit dönerartigem Fleisch und Ananasstückchen. Mein Abend-Bier trinke ich in einer Bar direkt an der Plaza. Aus dem ersten Stock kann ich gut über den Platz schauen. Immer wieder fahren Pickups vorbei, auf deren Ladeflächen Menschen sitzen und Lautsprecherboxen dröhnen. Wahlkampf. Ganze Lieder aus den Charts haben die Präsidentschaftskandidaten umgedichtet. Besonders beliebt ist der aktuelle Hit „Ai Se Eu Te Pego“. Den haben gleich mehrere Parteien im Angebot – da muss man schon auf den Text hören, um zu wissen, wer denn hier gerade auf Stimmenfang ist.