Ein rasantes Natur-Erlebnis durch den Abfluss: Klammeraffen und Krokodile leben am Ufer des Canyons, dessen Felswände mehrere hundert Meter senkrecht vom Wasser in die Höhe ragen. Der Stolz der Fremdenführer sind aber eher ihre PS-starken Motorboote, mit denen sie mit Höchstgeschwindigkeit und Höllenlärm der Natur entgegentreten…
Tuxtla Gutiérrez
Die Fahrt mit dem Combi kommt mir unwirklich geordnet und organisiert vor. Die Routen sind festgelegt, die Combis deutlich mit Nummern beschriftet – völlig anders als in Peru! Und wer aussteigen möchte, zieht an einer Leine am Combi-Dach. Dann klingelt es beim Fahrer und er hält an der nächsten Ecke. Die Seiten-Schiebetür öffnet er mit einem Hebel und einer halbwegs zuverlässigen Mechanik. Doch es wird noch besser: Ich habe den Platz, der am nächsten am Fahrer ist. Die anderen Fahrgäste geben mir ihr Fahrgeld, ich reiche es weiter, bekomme das Wechselgeld und gebe es dann zurück. Kein Haltestellen-Schreier wie in Peru, der sich hektisch und aufdringlich die Taschen mit Münzen vollmacht. Hier hat alles seine Ordnung. Ich bin beeindruckt. Auch die Orientierung sollte in Tuxtla einfach sein: Die Straßen sind durchnummeriert. Je weiter vom Zentrum entfernt, desto höher die Nummer. Aber wenn die Straßennamen auch tatsächlich an den Kreuzungen angeschrieben wären… Trotzdem finde ich meine Unterkunft: Hotel Casablanca. „Wir haben eigentlich nur Zimmer ab 250 Pesos (15 Euro) pro Nacht!“, sagt der Mann an der Rezeption. „Alles voll.“ Och, denke ich, schade, und hole meinen Reiseführer aus dem Rucksack, um eine neue Unterkunft zu finden. Doch der Anblick meines orangefarbenen Büchleins, das ich in den Händen halte, scheint in dem Mann an der Rezeption etwas zu bewirken: „Oh, hier ist ja doch noch ein Zimmer frei – welch ein Zufall!“, meint er. Einzelzimmer mit Dusche und Ventilator. „Eigentlich kostet es 180. Aber dir gebe ich es für 150. In bar bitte.“ Ich bin freudig überrascht. „Nein, du musst dich nicht in unserem Gästebuch registrieren. Du brauchst doch keine Quittung, oder?“ Geht doch.
Im Restaurant „Las Pichanchas“ esse ich zu Abend. Es ist ziemlich touristisch: Eine Folkloregruppe führt Tänze auf, immer wieder sagt der Restaurant-Chef durchs Mikrofon: „Danke, dass Sie unsere Kultur in der Region Chiapas aufrecht erhalten.“ Unsinn. Das ist keine Kulturveranstaltung sondern ein durchorganisiertes Geschäft mit Musik vom Band, bei dem die Folklore-Leute teils sogar Texte playback mitsprechen. Aber das Essen ist wirklich gut und typisch für die Region. Mein Tamal aus Hühnchen, Mole-Soße und Rosinen schmeckt prima.
Zum ersten Mal fühle ich mich in einer Stadt in Mexiko nicht hundertprozentig sicher. Die Straßen sind breit in Tuxtla, viele Betrunkene und Obdachlose laufen in dieser Gegend herum. Zwar sind sie überwiegend friedlich – aber ich bin trotzdem froh, wieder im Hotelzimmer zu liegen.
Cañón del Sumidero
Mit einem Combi fahre ich nach Chiapa de Corzo. Hier starten die Schnellboote durch den Cañón del Sumidero (Abfluss-Canyon). Nach Städten und Ruinen steht jetzt Natur auf meinem Reise-Programm. 20 Personen haben auf dem Schnellboot Platz. Mit einer Höllengeschwindigkeit und röhrendem Motor rasen wir durch die Schlucht. Die Felsen ragen 200 bis 300 Meter steil und schroff vom Wasser nach oben. Alles zieht so schnell an mir vorbei, dass ich gar keine Zeit habe, die Fahrt zu genießen. Der Fahrer redet mehr von seinem Trinkgeld als von den Eckdaten der Route: Kein Wunder, muss er dafür das Boot jedes Mal anhalten um nicht im Motorenlärm unterzugehen. Zu sehen gibt es Felsformationen, die Namen wie „Der Altar“ tragen oder mit viel Fantasie ein Jesusgesicht aussieht oder wie ein Weihnachtsbaum. Die kurzen Erklärungs- und Fotostopps dauern meist nur wenige Minuten – dann rasen wir weiter. Die Fahrt endet auf einem großen Stausee. Eine Staumauer ist sozusagen der Stöpsel des „Abfluss-Canyons“… Stolz präsentiert der Fahrer die mexikanische Ingenieurskunst am Chicoasén-Staudamm und sammelt (von den anderen Fahrgästen) sein Trinkgeld ein. Das stimmt ihn tatsächlich milde und die Rückfahrt durch den Cayon geht nun deutlich langsamer. „Die Natur habt ihr gesehen, jetzt beobachten wir Tiere“, kündigt er an. Es raschelt in den Bäumen am Ufer: Tatsächlich sehen wir ein paar Affen! Die älteren sitzen faul auf den Ästen, die kleinen Jungtiere hüpfen und schwingen sich von Ast zu Ast. Aber das Highlight sind wohl die Krokodile: Bis zu viereinhalb Meter lang liegen sie am Ufer und sonnen sich. Nur eines schwimmt. Immer wieder sind sie am Ufer zu sehen, sieben bis zehn ausgewachsene Tiere sehen wir insgesamt. Eine Krokodilmutter passt auf ihre Jungen auf: Dutzende der Kleinen liegen auf einem Stein, nur ein paar Zentimeter lang. Furchteinflößend sehen nur die großen aus. Jetzt bin ich doch ein bisschen froh, dass wir so einen starken Motor am Boot haben und rechtzeitig wegdüsen könnten. Aber die Krokodile sind friedlich und bewegen sich kaum. Die Stopps reichen auch hier gerade einmal für eine Handvoll Fotos, dann röhrt der Motor wieder auf und wir pesen wieder zurück. Zwei Stunden dauert die Fahrt durch den Canyon hin und zurück, danach sind meine Haare vom Fahrtwind ordentlich zerzaust.
Der Combi quält sich durch den Verkehr von Tuxtla. Die Venen der Stadt sind verstopft, ihre Seele bleibt weiter verschwunden. Nichts hält mich hier. Im Bus nach San Cristóbal de Las Casas unterhalte ich mich eine Weile mit Paco, 12 Jahre, der auf dem Platz vor mir sitzt. Er erzählt, dass er später auch viel von der Welt entdecken möchte. Am besten mit einem Heißluftballon, meint er. „Dann kann ich überall kostenlos hin!“ Dass das ziemlich lange dauern wird, stört ihn nicht. Nur eines macht ihm Sorgen: „Ich weiß nicht, wie man so ein Ding steuert…“