Diese 100 Jahre alte Hafenanlage bietet nicht nur einen fantastischen Blick über das türkisblaue Meer der Costa Verde. Sie ist auch ein besonderes Stück Industriegeschichte im Südwesten Sardiniens.
Malte Führing
Diese 100 Jahre alte Hafenanlage bietet nicht nur einen fantastischen Blick über das türkisblaue Meer der Costa Verde. Sie ist auch ein besonderes Stück Industriegeschichte im Südwesten Sardiniens.
Vor mehr als 100 Jahren erhielt der Ingenieur Cesare Vecelli den Auftrag, eine Verladestation für Erze und Mineralien zu errichten. Etwa 200 Jahre lang wurden die im Südwesten Sardiniens aus der Erde geschürften Rohstoffe per Hand auf Schiffe verladen – was nicht nur lange dauerte und anstrengend war, sondern natürlich auch nicht besonders effizient. Also errichtete Vecelli eine Anlage, die weltweit noch heute ihresgleichen sucht.
In einen Felsen der Steilküste ließ er übereinander zwei Stollen mit Blick aufs Meer treiben. In den oberen konnten vom Land aus Waggons fahren und ihr geladenes Erz in insgesamt neun Silos im Fels schütten, die mit dem unteren Stollen verbunden waren. Wenn ein Schiff an dem Felsen anlegte, wurden Klappen am unteren Ende der Silos geöffnet, das Material auf ein großes Förderband geschüttet und direkt aufs Schiff geladen. Diese für damalige Zeiten außergewöhnliche Ingenieursleistung benannte er nicht etwa nach einem Politiker, Kriegshelden oder Industriebaron, sondern nach seiner Tochter Flavia, die im Jahr der Fertigstellung 1924 geboren wurde – sehr sympathisch!
Der stolze Vater hatte eine beeindruckende Schönheit erschaffen. Der hohe Torbogen im Fels mit dem ikonischen „Porto Flavia“-Schriftzug, der 16 Meter über dem türkisblau glitzernden Meer thront, muss schon bei den Seefahrern vor 100 Jahren bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Und dann die inneren Werte: Mit Platz für bis zu 10.000 Tonnen Silbererz oder Bleiglanz war Porto Flavia eine echte Schatzkammer! Die Minenarbeiter gingen ein und aus – und wenn ein Schiff festmachte, blieben sie drei Tage ununterbrochen.
In den 1960er Jahren rentierte sich der Erzabbau in der Region nicht mehr. Für Donna Flavia gab es nichts mehr zu tun. Doch während die alten Minenanlagen rundherum vor sich hin rosten und allmählich verfallen, hat sich die alte Dame noch einmal hübsch gemacht und strahlt voller Anmut und Eleganz: Mit frischem Putz an der Fassade ziert sie inzwischen etliche Tourismuskataloge für die Costa Verde. Ihre Pension ist gesichert, wenn jeden Tag Besucher aus aller Welt durch die Stollen laufen, über alte Schienen und das Förderbandskelett spazieren, in die düsteren Silos blicken und den fantastischen Blick aufs Meer und den „Zuckerhut“-Felsen (Pan di Zucchero) gegenüber genießen.
Ob sie die quietschenden Waggons vermisst? Das Donnern und Stauben des Erzes, wenn es in die Silos fällt und das Rattern des Förderbandes? Die Dame schweigt. Aber tief in ihrem Herzen, wo sich die Schienen wie Lebensadern teilen um in ihrem Bauch zu verschwinden, hängen Fotos der guten alten Zeit…
Auch wer keine Führung durch Porto Flavia macht, sollte die Anlage zumindest vom Wasser gesehen haben. Denn das ist Liebe auf den ersten Blick! Fast schon zierlich wirkt die Anlage zwischen den massiven Felsen. Der ikonische Torbogen vor dem unteren Schacht, in dem sich das Förderband befand und das Türmchen daneben – ein Treppenhaus zur Verbindung der beiden Stollen – wirken eher wie eine Ritterburg als eine Industrieanlage.
Das Highlight der Costa Verde wäre damit beschrieben. Doch es gibt hier vom Wasser aus noch mehr zu sehen. Am „Zuckerhut“-Felsen (Pan di Zucchero) gegenüber von Porto Flavia lässt sich hervorragend schwimmen – bei etwas Seegang entsteht hier zwischen den Felsen ein natürliches Wellenbad!
Etwas weiter nördlich schimmert das Wasser in mehreren Grotten (z.B. Grotta Azzurra) unnatürlich blau, falten sich die Gesteinsschichten an der Felsküste wie ein Stapel alter grauer Zeitungen oder warten bildhübsche Strände (Cala Domestica).
Kurz vor Buggeru macht die „Galeria Henry“ Lust auf eine Entdeckungstour: Eine Tunnel- und Schachtanlage, die bei Führungen mit einer kleinen Lorenbahn befahren werden kann – und die grandiose Ausblicke aufs Meer bieten soll.