Buenos Aires ist eine der lebenswertesten Metropolen Südamerikas mit unwahrscheinlich hohem Suchtfaktor! Hier mischen sich europäische Architektur und südamerikanisches Tohuwabohu, trendy Kosmopoliten und glühende Lokalpatrioten. Dazu ein überbordendes Kulturprogramm – Argentinien könnte sich kein bunteres Aushängeschild aussuchen!
Evita und Tango – die beiden klassischen Buenos Aires-Klischees bei einem Besuch umgehen? Keine Chance. So erwidert man eben den angestrengt-ernsten Blick der Straßenecken-Tanzpaare, die sich für ein paar Pesos fotogen umschlingen – oder teilt sein Reiseführer-/Musical-Wissen in der Warteschlange vor dem Grab von Argentiniens wohl berühmtester Tochter.
Doch wenn das abgehakt ist, ziehen die Stadt und ihre stolzen Bewohner (Porteños) Besucher in ihren Bann. Buenos Aires zu widerstehen, ist fast unmöglich. Die Geschichte der Stadt spiegelt sich in den enormen Elitenpalästen des 19. Jahrhunderts wider – oder fein säuberlich in Kisten und Kästchen sortiert in Antiquitätenläden, denen die Porteños offenbar verfallen sind. Der Hang zu Kunst und schönem Leben ist unverkennbar, in hervorragenden Museen, Straßengraffitis, liebevollen Cafés und Bars. Der Spruch, Argentinier seien eigentlich Italiener, die spanisch sprechen, Engländer sein wollen und sich wie Franzosen benehmen, trifft wohl nirgends im Land mehr zu als hier. Und das alles in Südamerika: perfekt! Zwei Tage reichen beim ersten Besuch nur für das Minimalprogramm – ab vier Tagen wird es komfortabler.
Friedhof La Recoleta
Er ist der Star unter den klassischen Sehenswürdigkeiten: Wenn die Reichen und Mächtigen in Buenos Aires den goldenen Löffel abgeben, ziehen sie am liebsten auf Argentiniens Vorzeigefriedhof in Recoleta. In pompösen Marmormausoleen ist ihnen auch nach dem Tod Aufmerksamkeit garantiert.
Friedhof La Recoleta
Friedhof La Recoleta
Friedhof La Recoleta
Friedhof La Recoleta
Friedhof La Recoleta
Friedhof La Recoleta
Friedhof La Recoleta
Friedhof La Recoleta
Friedhof La Recoleta
Kein Grab bekommt allerdings so viele Besucher wie das von „Evita“, Eva Perón. Doch wer ein großes Denkmal erwartet, wird enttäuscht: Nur ein halbes Dutzend Plaketten (und eine lange Schlange Touristen) schmücken die Marmorfront des Mausoleums. Nach ihrem Tod erfuhr Evita nicht den Ruhm und die Bewunderung, die ihr heutzutage entgegengebracht werden. Ihr nach dem Tod 1952 einbalsamierter Leichnam verschwand 1955 nach dem Sturz von Ehemann Präsident Juan Perón jahrelang spurlos. Der neuen Regierung lag wenig am Personenkult um die alte Präsidentengattin. Es folgte eine irre Reise der Toten zunächst nach Italien, dann nach Spanien und schließlich 1974 zurück nach Südamerika. Erst 1976 wurde Eva Perón auf dem Recoleta-Friedhof beigesetzt – im Familienmausoleum ihrer Eltern, weil Juan Perón längst neu geheiratet hatte.
Centro Cultural La Recoleta
Direkt neben dem Friedhof liegt eines der spannendsten Kunst- und Kulturprojekte der Stadt. In einem ehemaligen Franziskanerkloster ist das Centro Cultural La Recoleta eingezogen. Die Ausstellungen regionaler zeitgenössischer Künstler wechseln ständig, es gibt Workshops, Konzerte, Partys, Kino und viel Platz zur Selbstverwirklichung.
Kulturzentrum Recoleta
Die Pop-Art-Fassade (mit dem Titel „Sommerliebe“) hat in der Stadt für reichlich Aufregung gesorgt. Ein 300 Jahre altes Gebäude anmalen? Geht gar nicht, sagen die einen. Schützt sogar die Fassade, die anderen. Unbestitten dürfte sein, dass es die perfekte Kulisse für bunte Open-Air-Partys ist.
Buntes La Boca
Alte bunte Gebäude gibt es auch am anderen Ende der Innenstadt: Im Einwandererviertel La Boca scheint die Farbe viele der Wellblech- und Holzbaracken überhaupt nur zusammenzuhalten. Doch wer eine lebhaft-romantische Atmosphäre erwartet, dürfte enttäuscht werden. Restaurants, Souvenirshops und andere Touristenfallen reihen sich aneinander, Selfie-Jäger versperren den Weg und kein Tourguide wird müde zu betonen, wie viele Taschendiebe unterwegs sind.
La Boca
La Boca
La Boca
La Boca
La Boca
La Boca
La Boca
La Boca
La Boca
La Boca
La Boca
Trotzdem gehört La Boca fest zum Inventar der Stadt – auch wegen seines berühmt-berüchtigten Fußballclubs „Boca Juniors“. Mit dem Charme eines Luftschutzbunkers wurde dessen 49.000-Plätze-Stadion „La Bombonera“ mitten ins Viertel betoniert. Doch bei jedem Spiel – nicht nur gegen den Erzrivalen „River Plate“ – herrscht hier Ausnahmezustand. Welch krankhafte Auswüchse argentinische Fußball-Obsession hervorbringen kann, lässt sich ebenfalls am Verein von La Boca beobachten. Hier entscheiden kriminelle Hooligan-Gruppen neben Transfers auch über Sieg und Niederlage an anderer Stelle: So holte sich Mauricio Macri zuerst als Vereinspräsident Unterstützung, bevor er Bürgermeister von Buenos Aires und schließlich Präsident Argentiniens wurde.
Mut zur Lücke
Keine Illusionen: Buenos Aires vollständig zu entdecken, ist unmöglich. Einen guten Schnelldurchlauf durch einzelne Viertel bieten wie immer die Free Walking Tours. Nirgends war ich zuvor allerdings mit so vielen Menschen in der Gruppe unterwegs wie mit Buenos Aires Free Walks (vielleicht sind BA Free Tour und Strawberry Tours einen Versuch wert?).
San Telmo
Zentrum
Zentrum
Retiro
Retiro
Retiro
Retiro
Recoleta
Recoleta
Recoleta
Puerto Maldero
Puerto Maldero
Puerto Maldero
Puerto Maldero
Puerto Maldero
Ich entscheide mich für Retiro und Recoleta und starte am berühmten Opernhaus Teatro Colón. An der Plaza Libertad geht es über die Avenida 9 de Julio. Fragt man einen stolzen Einwohner von Buenos Aires, ist dies die breiteste Straße der Welt. Fragt man seriöse Quellen, ist sie es nicht. Aber 11 Fahrspuren pro Richtung(!) sind wirklich viel – zwei davon sind Busspuren, dazu gibt es sechs „Hauptspuren“ und drei langsamere „Nebenspuren“, alle voneinander mit schmalen Grunstreifen getrennt. Eine Ampelphase reicht längst nicht, um diese Monster-Straße zu überqueren.
Rache für Reiche
Der Palacio San Martín ist ein gutes Beispiel für die gnadenlos pompösen Stadtpaläste, die sich die reichsten Argentinier um 1900 damals noch vor die nördlichen Tore der Stadt setzen ließen, weil in den älteren Vierteln wie San Telmo einfach kein Platz für so viel Prunk war. Reichtum und Macht kamen gerne mit Neid und Missgunst daher. Was heute Stoff kitschiger Telenovelas ist, war schon damals Ursprung unterhaltsamer Legenden: Angeblich verliebte sich die reiche irische Einwanderin Corina Kavanagh in den Sohn der Ober-Ober-Oberschicht-Familie Anchorena, die den Palacio San Martín errichten ließ. Weil argentinische Superreiche damals aber nur unter sich heirateten, um noch mehr Macht und Wohlstand anzuhäufen, untersagte die Familie dem jungen Paar die Hochzeit. Als Rache ließ Corina ein Hochhaus bauen, das den Palacio San Martín sprichwörtlich in den Schatten stellte – und den Blick von dort auf die eigens von Familie Anchorena errichtete Kirche versperrte. Lange war das Edificio Kavanagh mit 120 Metern das höchste Gebäude Südamerikas. Noch heute gehört es zu den begehrtesten Adressen der Stadt.
In dieser guten Tradition ließ Argentinien gar nicht weit vom Kavanagh-Haus das Denkmal für die Gefallenen des Falklandkriegs errichten (der natürlich in Argentinien Kampf um die Malvinen heißt). Wohl nicht zufällig steht direkt gegenüber der Uhrturm, den die Engländer Argentinien zum 100. Unabhängigkeitstag geschenkt hatten…
San Telmo
Wenn man so will, ist San Telmo so etwas wie Prenzlauer Berg für Buenos Aires. Überall gibt es hippe Geschäfte, Bars und Restaurants, vollgestopfte Antiquitätenläden und ein internationales Publikum. Viele Hostels sind in den Stadtteil gezogen und sonntags wird auf der Plaza Dorrego einer der beliebtesten Flohmärkte der Stadt veranstaltet. Sonst ist die mehr als 120 Jahre alte Markthalle nebenan das unangefochtene Zentrum des Viertels. Zwischen (wenigen) alteingesessenen Obst-, Gemüse- und Fleisch-Ständen öffnen ab Mittag beliebte Fastfood-Buden. Statt Döner wird hier z.B. ganz passables Choripán serviert, ein überall in Südamerika beliebtes, aber hier (auch preislich) aufgepepptes Grillwürstchen-Sandwich. Einen großen Teil der Halle nehmen Antiquitätenläden ein, die alles verkaufen, was auch nur einen Hauch Patina angesetzt hat: kistenweise Taschenuhren, vergilbte Bücher, abgeliebtes Spielzeug.
Mercado de San Telmo
Eine (nicht nur an Regentagen) spannende archäologisch/architektonische Sehenswürdigkeit verbirgt sich nur ein paar Ecken weiter hinter einer unscheinbaren Fassade: Der Zanjón de Granados ist ein Haus aus der Gründungszeit und damit eines der ältesten der Stadt. Die extrem aufwändige Restaurierung ist alleine schon beeindruckend. Doch wirklich spannend wird es im Kellergeschoss: Das Haus wurde auf dem Zusammenfluss zweier tiefer Bachläufe errichtet, die dafür (Ende des 19. Jh. extrem innovativ) extra in gemauerte Tunnel gefasst wurden, um das Fundament nicht auszuwaschen. Insgesamt waren die Tunnel wohl mehrere hundert Meter lang, ein Teil kann in einer lohnenswerten Führung besichtigt werden (leider nicht ganz günstig). Außerdem finden sich Zisternen, Mauern und weitere Fundstücke, teils aus dem frühen 18. Jh.
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
San Telmo
Kunstliebhaber finden am Rande San Telmos das Museum für Moderne Kunst. Die Ausstellungen wechseln häufig, der Eintritt ist günstig und es ist allemal besser, als eine Stunde im Regen durch die Stadt zu laufen… Die uralte Kunst des süßen Zeitvertreibs hat man in der Bar Plaza Dorrego eine Ecke weiter perfektioniert. Zu knirschend-knisternder Tango-Musik servieren Kellner gefühlt wie vor 100 Jahren die Klassiker in Buenos Aires: Übertrieben süße Croissants und ein U-Boot (heiße Milch, in die man sich ein Täfelchen Schokolade bröckelt – echte Porteños wählen zur Sicherheit extra Zucker).
Grüne Großstadt
Die zusammenhängenden großen Parkanlagen am Nordrand des Viertels Palermo als „Wald“ (Bosque) zu bezeichnen, ist ziemlich gewagt: Der Baumbestand ist doch reichlich dünn. Aber es reicht, um als Lunge der Stadt und beliebtestes Naherholungsgebiet der Stadt zu gelten. Zum Feierabend und am Wochenende tummeln sich die Porteños auf den Wiesen und Bänken, joggen, skaten und radeln oder schippern mit Tretbooten über angelegte Seen.
Bosques de Palermo
Bosques de Palermo
Bosques de Palermo
Bosques de Palermo
Bosques de Palermo
Bosques de Palermo
Buenos Aires
Ein Besuch im Rosengarten ist nicht unbedingt romantisch. Hektische Horden Hobbymodels, Brautpaare und Geburtstagskinder lassen sich hier regelmäßig vor blühender Kulisse von mal mehr, mal weniger professionellen Fotografen ablichten – und zwingen Spaziergänger in einen Zick-zack-Parcours – Photobombing garantiert. Und dass die Blumen nicht unbedingt dazu gedacht sind, abgeschnitten und als Sträuße an der nächsten Ampel verkauft zu werden, haben noch nicht alle verstanden.
Und die Kathedrale? Plaza de Mayo? Casa Rosada? …stehen wahrscheinlich auch beim nächsten Besuch noch.
Tipps:
Ich empfehle wärmstens das Circus Hostel in San Telmo. Nirgends in Argentinien habe ich in einem saubereren und komfortableren Dorm geschlafen. Fast täglich werden für Gäste kostenlose Spaziergänge durch verschiedene Stadtviertel angeboten.
Viele Argentinier haben mit ihren italienischen Wurzeln auch gleich die Liebe zu gutem Eis geerbt. Ausgezeichnet schmeckt es z.B. in der Heladería Buffala nahe der Metro-Station Las Heras.
Auch vor dem Weinland Argentinien macht der Craft-Beer-Hype keinen Halt. Wie in jeder Hipsterkneipe gilt auch in Buenos Aires: Je länger der Bart des Barkeepers, desto größer die Auswahl – das gilt vor allem für San Telmo. Die Bar Chin Chin serviert auch gutes Essen zum Pint!